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Schmetterlinge jagen und Erbsen enthülsen

Mary. Wir haben wohl so unsere guten und unsere schlechten Tage, aber es füllt mein Herz mit so viel Freude, dass die Guten immer mehr die Überhand gewinnen und die Schlechten immer seltener werden.

Mary. Mary ist 6 Jahre alt und hat bis jetzt ihr ganzes Leben in der Maternidad de Maria verbracht. Einen Papa „gibt es nicht“, die Mutter hatte schwere Schizophrenie und ist schon lange tot. Mary. Bekannt als die „Schwierige“, die „Verrückte“, die „Aggressive“. Leider überschattet ihr manchmal sehr schwieriges Verhalten alles andere. Über ihre abgöttische Liebe und Zuneigung zu unseren kleinen Babys wird nicht oft geredet. Wie ihr herzliches Lachen ihren ganzen Körper erschüttert, wenn sie die kleine Julia oder den kleinen Fernando im Arm halten darf. Oder ihre Begeisterung wenn sie dabei helfen kann, die Kleineren zu waschen und umzuziehen. Ihre Ruhe und Konzentration wenn sie die Schuhe aller anderen sorgfältig nebeneinander aufstellt. Und ihre Freunde beim malen, ausschneiden und kleben.

Manchmal überdreht Mary und sie läuft laut lachend durch die Räume, die sie in und auswendig kennt, während sie die Wände mit Filzstiften bemalt. Manchmal zerreißt sie hochmunter alles um sie herum oder schlägt die anderen Kinder. Aggression ist leider oft ihre Art ihre Probleme mit den anderen zu klären oder ihre Energie, die nirgendwo hin kann, hinauszulassen.

Manchmal ist sie wie eine gesprungene Schallplatte. Es ist schwer zu erklären, aber wenn sie etwas will, was sie nicht bekommen kann wiederholt sie es immer wieder und nichts dringt mehr an sie heran. „Ich will einen Keks, ich will einen Keks, ich will einen Keks“. Oft fängt sie leise an, aber aufhören tut es leider viel zu oft mit Schreinen und Weinen, denen man eine tiefe Not anhört.

Manchmal wenn wir spazieren gehen (Mary und ich laufen jeden Tag einmal zusammen durch das Gelände der Maternidad) treffen wir auf große, tieforangene Schmetterlinge. Schwerfällig durch ihre großen Flügen, taumeln sie von einer Blume zur anderen. Näher und näher tastet sich Mary heran, mit ihren Fingern ausgestreckt und doch zu scheu die Schmetterlinge anzufassen. Immer wieder dreht sie sich unsicher um und sucht mit ihren großen, schwarzen Augen die meinen.

Manchmal treffen wir in der Cafeteria auf eine Küchenhilfe die Erbsen enthülst. Dann setzten wir uns daneben und enthülsen, ruhig und konzentriert, Erbsen. Am liebsten jedoch fährt Mary mit ihren Händen durch die schon enthülsten Erbsen in der Schüssel.

Manchmal reagiert Mary nicht darauf wenn man sie anspricht. Und meine Kolleginnen meinen, dass sie nicht gut hört. Aber das glaube ich nicht. Sie ist einfach in ihrem eigenen Universum. Leider wird dieses Universum manchmal viel zu dunkel für Mary, und ich wünsche mir so sehr, dass ich ihr wenigsten ein Teil dieser Dunkelheit nehmen kann.

Ich wünsche mir ein Wunder. Ein Wunder, dass Mary, gegen alle Erwartung doch noch mit 6 Jahren und samt „mentaler Krankheit“ von einer liebevollen Familie adoptiert wird. Denn daran zu denken, dass sie wahrscheinlich sehr bald in das nächste Kinderheim kommt, und so immer weiter, ohne die Unterstützung einer Familie, bricht mir das Herz.

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